Shakespeare, William – Sonett 130
William Shakespeare
Sonett 130

My mistress' eyes are nothing like the sun;
Coral is far more red than her lips' red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.

I have seen roses damasked, red and white,
But no such roses see I in her cheeks;
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.

I love to hear her speak, yet well I know
That music hath a far more pleasing sound;
I grant I never saw a goddess go;
My mistress when she walks treads on the ground.

And yet, by heaven, I think my love as rare
As any she belied with false compare.


Übertragung von Ralf Schauerhammer
Shakespears Sonett 130

Des Liebchens Augen sind nicht wie der Sonne Licht,
Korallen sind viel röter als ihr Lippenpaar
und weiß wie Schnee ist ihre Brust beileibe nicht,
ein krauser Bund aus schwarzen Fäden ist ihr Haar.

Ich sah damastne Rosen, weiße und auch rote,
auf ihren Wangen hab ich solche nie gesehen;
Parfüms verbreiten meistens eine bessre Note
als Düfte, die aus meines Liebchens Atem wehen.

Ich höre sie sehr gerne reden, aber sie,
das weiß ich, klingt nicht wie Musik der Himmelssphäre;
auch eine Göttin schreiten sah ich leider nie,
mein Liebchen, wenn es läuft, folgt ganz der Erdenschwere.


Und dennoch, Liebe, bist du himmlisch rein und selten,

dass die Vergleiche lügen und für dich nicht gelten.



Anmerkung:

Wie so oft in Shakespeares Sonetten bringt das letzte Zeilenpaar eine entscheidende Wende oder Ironie zum Ausdruck. In diesem Fall ist es die doppelte Bedeutung von " my love" - meine Liebe/Geliebte. Ich habe das versucht hervorzuheben, indem ich für "mistress" das Wort "Liebchen" wählte.

Shakespeares Liebchen sieht man als ganz natürliches Mädchen vom Lande, welches in seiner Art den höflich-kunstvoll gekünstelten Liebschaften der kultivierten Gesellschaft gegenübergestellt wird, indem der Reihe nach die üblichen Vergleiche mit der Sonne, dem Schnee, etc. aufgezählt und für unpassend erklärt werden. Damit ist das Sonett jedoch gleichzeitig eine Polemik gegen die schwülstige und verlogene Liebeslyrik, die sich in übertriebenen Vergleichen ergeht. Wahre Liebe tut das nicht und Shakespeares Liebchen könnte auch gar nichts damit anfangen.

Eine dritte Ebene der Ironie kommt hinzu, wenn man das Gedicht heute liest bzw. überträgt, denn die Form des Sonetts wirkt heute recht kunstvoll, manche meinen sogar steif und unfrei, während es damals in der von Shakespeare entwickelten Form etwas ganz Neues und Frisches war. Deswegen ist es meiner Meinung nach beim Übertragen wichtig, möglichst normale Worte und Wendungen zu gebrauchen, keine Inversionen zu verwenden und alles zu versuchen, die strenge Form des Sonetts nicht in den Vordergrund treten zu lassen.

Da die deutsche Sprache ein wenig mehr Silben für den gleichen Inhalt braucht als die englische, habe ich pro Zeile (nicht wie Shakespeare fünf, sondern) sechs Jamben gewählt, was das Sonett im Deutschen aber gut verträgt, da es im Deutschen ursprünglich im sechsfüßigen Alexandriner bekannt wurde und erst später auf fünf Füße gestellt wurde.