Ein Freund
Diese Seiten sind einem Freund gewidmet, den ich im Jahre 1990 während meines ersten Urlaubs in der Türkei kennenlernte. Meine Frau hatte mir die Reise zum Geburtstag geschenkt, ich trat sie ungern an. Während des Hotelaufenthalts in Antalya lernten wir aber Mert Ertüre und dessen Familie kennen. Das war der Beginn einer wunderschönen, bis heute andauernden Freundschaft, wie ich sie mir enger und herzlicher nicht hätte vorstellen können. Deshalb werde ich Mert Ertüre in diesem Bericht beim Vornamen nennen.
(Mert und ich bei einer Pause)
Gegenseitiges Kennenlernen
Seither verging kein Jahr, in dem wir uns nicht besuchten, oft sahen wir uns auch mehrfach. Entweder trafen wir uns in der Türkei oder in Deutschland. Neben vielen gemeinsamen Urlaubswochen in der Mittelmeerregion und Aufenthalten in Wiesbaden unternahmen wir Ausflüge nach Zürich, Berlin und Amsterdam.
Merts Familie lebt in Istanbul. Wenn wir zu Besuch kamen, wohnten wir selbstverständlich bei ihm zuhause, unter seinem Dach, unter seiner Obhut. Nie hätte er uns erlaubt, ein Hotel zu nehmen. Das wäre geradezu unhöflich gewesen.
Bei einem der ersten Türkeiaufenthalte wurden wir der Familie vorgestellt. Fast alle Familienmitglieder saßen um einen großen Tisch, am Kopfende hatte Merts Schwiegermutter, die interne Autorität, Platz genommen. Nachdem die Mutter uns geprüft (sie sprach kein Wort Deutsch und wir kein Wort Türkisch) und freundlich aufgenommen hatte, indem sie uns vor der ganzen Gesellschaft umarmend küsste, wurden wir zu richtigen Familienmitgliedern, die eben in Deutschland leben und nicht in Istanbul.
Wir begleiteten die Entwicklung von Merts einziger Tochter Ece, besuchten sie in ihrer Schule und im Gymnasium, feierten ihren Universitätsabschluss und waren zu ihrer Hochzeit als „Onkel und Tante“ eingeladen, nie waren wir Fremde.
(Nächtliche Bootsfahrt auf dem Bosporus, Okt. 2011: „Onkel“ Lutz, „Tante“ Martha, im Hintergrund Mert, Tochter Ece, Merts Frau Selcuk)
Merts Organisationstalent
Mert war, wie ich, damals in der IT-Branche tätig und besaß ein unglaubliches Organisationstalent. Die Begabung, alles irgendwie möglich zu machen, besitzt er heute noch. Überall, nicht nur in seiner Heimatstadt Istanbul, kannte er jemanden, der für ein anstehendes Problem genau der Richtige war. Und bei der „Lösung des Problems“ zeigte er uns mit Freude und Selbstverständlichkeit seine Stadt, ließ uns an seinem Leben teilhaben und stellte uns seinen Freunden vor.
Seinem Organisationstalent und seiner Hilfsbereitschaft verdanken die Dichterpflänzchen sehr viel. Denn ohne Mert wären die wichtigen, den poetischen Dialog fördernden Begegnungen mit vielen interessanten Persönlichkeiten in der Türkei nicht möglich gewesen.
Mert und Prof. Talat S. Halman in Ankara
Im Jahr 2007, zum 800. Geburtstag des großen Dichterphilosophen Mevlana Dschelaleddin Rumi, fiel bei den Dichterpflänzchen die Entscheidung, ein Rezitationsprogramm über Rumis Wirken zu erarbeiten. Ich teilte diese Entscheidung meinem Freund Mert mit. Kurz darauf besuchte ich ihn in Istanbul.
Er hatte inzwischen seine Familie und seinen Freundeskreis über unsere Pläne informiert. Alles war vorbereitet. Mert hatte für mich einen Besuch im Semahane des Mevleviklosters von Galata in Istanbul organisiert (hier wird die Tradition des Derwisch-Tanzes bewahrt. Diese Form des „körperlichen Betens“ geht auf Mevlana zurück).
Merts Tochter Ece übergab mir eine CD mit mystischer Ney-Musik (die Rohrflöte ist das typische Instrument zu Mevlanas Lyrik), die sie selbst zusammengestellt hatte.
Die größte Überraschung aber war, dass Mert es irgendwie geschafft hatte, einen Besuchstermin bei Prof. Halman an der Bilkent-Universität in Ankara zu bekommen.
(Herr Prof. Halman war der erste Kulturminister der Türkei; er ist ein begnadeter Übersetzer und hat viele klassische Werke, hauptsächlich Shakespeares Dramen, ins Türkische übersetzt. Herr Halman ist aber auch ein international bedeutender Mevlana-Kenner und Dekan der Fakultät für Geisteswissenschaften und Literatur in Ankara.)
(rechts: Prof. S. Talat Halman, Gespräch in der Bilkent-Universität, Ankara)
Nachmittags erhielt Mert die Nachricht, die den Termin am nächsten Tag bei Herrn Prof. Halman bestätigte: Er kam gerade aus USA zurück. In den Morgenstunden machten wir uns auf den Weg nach Ankara, das über 400 Kilometer entfernt liegt. Nie werde ich die Autofahrt an Merts Seite vergessen. Dann widmete Prof. Talat Halman sich eine volle Stunde lang meinem Anliegen, mehr über Mevlana Deschelaleddin Rumi zu erfahren. Es war ein äußert informatives Treffen und gleichzeitig eine große Ehre für mich.
Mert und Salih Taner Serin (Präsident der Nasreddin Hodscha und Tourismus Association, Aksehir)
2008 feierte Nasreddin Hodscha, der unsterblich-schalkhafte Lehrer der Türkei, seinen 800. Geburtstag. Auch über diesen, im ganzen Orient bekannten volkstümlichen Charakter, planten wir ein Rezitationsprogramm. Wieder wurde Mert informiert, wieder trat ich kurz darauf eine Reise in die Türkei an, diesmal in Begleitung meiner Frau.
Unsere Reise führte uns diesmal nicht nach Istanbul, sondern nach Konya, wo Mevlanas Grabmal liegt. Kein Problem für Mert, er instruierte einen Freund in Konya, uns dort aufzugabeln, und bat einen weiteren Freund in Aksehir (der Stadt, in der Hodscha traditionell gefeiert wird), den Präsidenten der Hodscha-Gesellschaft zu einer Reise nach Konya zu bewegen.
(Konya, Hotel Bera, in der Mitte Herr Taner Serin)
Und so geschah es, dass wir in einem Hotel in der Millionenstadt Konya, zu dem uns Merts Freund gebracht hatte, mit Herrn Serin aus Aksehir zusammentrafen. Herr Serin war überaus erfreut, dass wir in Deutschland Hodschas Geburtstag feiern wollten. Er überhäufte uns mit Anekdoten, Geschichten und Material zu „seinem“ Hodscha, überreichte uns Geschenke und hoffte sehr, dass die Dichterpflänzchen ihr Hodscha-Programm einmal in Aksehir aufführen würden. Das hat leider noch nicht geklappt, aber in Deutschland fanden drei große Nasreddin-Hodscha Feste der Dichterpflänzchen statt.
Mert und das 1. Türkisch-deutsche Poesiefestival in Istanbul-Fatih
Durch den intensiven poetischen Dialog, der sich in vielen Veranstaltungen ausdrückte, die gemeinsam mit türkischen Mitwirkenden in Wiesbaden, Mainz und anderen Orten stattfanden, entstand der Wunsch zu einer Präsentation dieser türkisch-deutschen Rezitationsprogramme in Istanbul. Die Dichterpflänzchen hatten von den Bestrebungen einer Städtepartnerschaft zwischen Wiesbaden und Istanbul-Fatih erfahren und beabsichtigten, diese Annäherung durch kulturelle Beiträge zu unterstützen.
Im April 2011 reiste ich mit der Absicht nach Istanbul, dort ein erstes türkisch-deutsches Poesiefestival zu organisieren. Das ging natürlich nur mit der Unterstützung meines Freundes Mert.
In drei Tagen bewältigten wir einen wahren Terminmarathon bei den unterschiedlichsten Institutionen und Kontakten. Und tatsächlich, am Ende des Aufenthaltes lag 1.) eine Einladung für die Dichterpflänzchen durch die Gemeinde Istanbul-Fatih vor, 2.) waren drei Veranstaltungsräume sichergestellt und 3.) sagten viele Lehrer, Schüler, Studenten und Übersetzer ihr Mitwirken zu.
(Im Fischrestaurant ein Spruch von Orhan Veli Kanik)
Im Oktober 2011 war es so weit. Sieben Dichterpflänzchen begaben sich auf die „erste Auslandstournee“. Mert erwartete uns bereits am Flughafen, begleitete täglich die kleine Gruppe, sorgte im Hotel für Aufmerksamkeit, stellte die Verbindung zur Stadtverwaltung Istanbul-Fatih sicher, war bei jedem Probetermin dabei, kümmerte sich rührend um unser Wohlbefinden. Er war der Garant für die Realisation und trug wesentlich zum Gelingen der Tournee bei. Er entschied kurzfristig über Essenspausen oder den Besuch einer auf dem Weg liegenden Sehenswürdigkeit, er war immer hilfsbereit und auskunftsfreudig, niemals müde oder uninteressiert.
(Mert auf der Dachterrasse des Hotels Armagrandi Spina)
Als wir entschieden, dem Text der letzten Veranstaltung „Poetische Berührung“ mehr türkische Spachanteile zu geben, rief er einen Freund ins Hotel und übersetzte mit ihm zusammen die Geschichten von Till Eulenspiegel ins Türkische.
(Mert mit Freund bei Übersetzungsarbeiten)
Diese Texte erarbeitete er sich in kürzester Zeit und trug sie dann selbst am Abend in der Veranstaltung vor. Er war plötzlich zu einem Dichterpflänzchen geworden.
(Mert (links) auf der Bühne; er erzählt eine Geschichte zu Till Eulenspiegel)
Beim Abschied trugen wir Mert, der inzwischen unser aller Freund geworden ist, die Ehrenmitgliedschaft in unserem Poesieverein an. Als wir ihn fragten, ob er das auch wolle, gab er zur Antwort: „Sehr gern!“ und fuhr verschmitzt fort, „ und was kostet mich das?“
Çok teşekkürler (vielen Dank) Mert!
Lutz Schauerhammer
(Abschlussfeier in Istanbul-Fatih: Senail Özkan, Ralf Schauerhammer, Selcuk Ertüre, Mert Ertüre, Stellv. Bürgermeister Izzettin, Lutz Schauerhammer, Martha Schauerhammer, Michael Liebig, Gabriele Liebig, Ulla Cicconi, Hartmut Borchers)