Viel herzlicher Beifall für „Schillers Frauen“

Schillerfeste 2010
des Poesievereins Dichterpflänzchen e.V. in Mainz und Wiesbaden

„Schillers Frauenfiguren und auch die Frauen, die Schiller in seinem Leben interessiert haben und die er geliebt hat, waren alle außergewöhnliche und selbstbewusste Persönlichkeiten – ganz besonders seine Frau Charlotte.“


So eröffnete Ralf Schauerhammer, der Autor des Programms, die Rezitationsveranstaltung im nahezu ausverkauften Salon Carl Schuricht des Kurhauses Wiesbaden. Und die Moderatorin Frau Carla Horn-Friesecke erklärte, dass die Idee zu diesem Programm entstand, als die Mitglieder des Wiesbadener Poesiekreises Dichterpflänzchen e.V. Schillers Gedicht „Würde der Frauen“ lasen und dabei erkannten, was für ein liebenswertes Frauenbild Schiller darin beschreibt.




Schiller sagt, so die Moderatoren weiter, es gibt zwei Prinzipien, die sich in jedem Menschen manifestieren, die weder als soziale Rollen noch rein genetisch bestimmt sind, die sich zwar unterscheiden, aber völlig gleichwertig und ausgewogen sind und die sich ergänzen. Mehr noch! Nur durch die Ergänzung von weiblichem und männlichem Prinzip ist eine sich selbst tragende, über jede individuelle Beschränkung hinausgehende Entwicklung möglich. Schillers überraschende Hypothese: Wenn der Mensch etwas Neues schöpferisch hervorbringen will, dann gelingt dies nur, wenn in seinem Geist beide Prinzipien, das weibliche und das männliche, gemeinsam am Werk sind.

Alle Beiträge des Abends ordneten sich dieser Einführung unter und so präsentierten die Dichterpflänzchen Schillers dramatische Frauenfiguren, dazu Texte aus Schillers Briefen, einige seiner Gedichte über Frauen (bzw. ihr Verhältnis zu Männern) sowie kurze Notizen über Frauen, die in Schillers Leben besonders wichtig waren - und zwar vom Standpunkt dieser fruchtbaren Wechselwirkung zwischen dem weiblichen und dem männlichen Prinzip, die Schiller in seinem Gedicht „Würde der Frauen“ zum Ausdruck gebracht hat.

Die einzelnen Rezitationen wurden durch musikalische Beiträge voneinander getrennt oder aber verbunden. Das gelang den beiden Künstlern Herrn Schlosser (klassische Gitarre) und Herrn Asbjörnsen (Querflöte) in grandioser Weise.









Doch der Reihe nach. Mit den Gedichten „Das Mädchen aus der Fremde“, „Der Jüngling am Bache“ und „Die Geschlechter“ wurden die eröffnenden Worte in lyrischen Beiträgen belegt.

Daraufhin folgten Ausschnitte aus Schillers Dramen, denn schon in seinem zweiten Stück war die Heldin eine Frau. Das Drama „Kabale und Liebe“ hatte Schiller ursprünglich „Luise Millerin“ genannt, und in der Tat ist die sechzehnjährige Bürgerstochter die wahre Heldin dieses Stücks. In der aussichtslosen Liebesbeziehung zwischen ihr und Ferdinand, dem Sohn des Präsidenten, reagiert sie erwachsen und verantwortungsbewusst.

Kabale und Liebe, 3. Akt, 4.Szene (Ausschnitt)
Luise Miller, Yonca Cakar
Ferdinad von Walter, Jonas Eberlein














Ganz im Gegensatz zu dem älteren und weltklügeren Ferdinand. Ferdinand ist nicht in der Lage, Luises Überlegenheit zu erkennen und kann ihre Seelengröße nur egoistisch als Kälte und Lieblosigkeit ihm gegenüber auffassen.

Luises schöner Charakter zeigt sich ganz besonders bei dem Zusammentreffen mit Lady Milford, die ebenfalls in Ferdinand verliebt ist.

Kabale und Liebe, 4. Akt, 6.Szene (Ausschnitt)
Luise Miller, Yonca Cakar in lyrischen Beiträgen
Lady Milford, Gabriele Liebig















Schiller konnte sein Stück „Kabale und Liebe“ in Bauerbach vollenden, weil seine Gönnerin und Fluchthelferin Henriette von Wolzogen ihm dort Zuflucht gewährte. Im Dezember 1782 traf sie mit ihrer 17-jährigen Tochter Charlotte in Bauerbach ein. Schiller war gerade 23 geworden und verliebte sich sofort in Charlotte. Charlotte beschrieb er als edles Wesen, „noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, weichste, empfindsamste Seele, und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lautern Spiegel ihres Gemüts“. Charlotte, oder was Schiller in Charlotte sah, haben wir in Luise Millerin, der Heldin seines bürgerlichen Trauerspiels, vor Augen.

Im Frühjahr 1783 lief am Theater in Mannheim Schillers "Kabale und Liebe". Eines Abends versuchte Schiller auf die Schnelle, den Namen des Hofmarschalls von Kalb in seinem Stück zu ändern, weil Charlotte von Kalb mit ihrem Ehemann in Mannheim war und die Vorstellung besuchen wollte. Er wollte einen Affront vermeiden.

Das Stück hatte nämlich eindeutige Bezüge auf die damaligen Gegenwart. Lady Milford bezieht sich zweifelsohne auf Franziska von Hohenheim, die hochherzige Mätresse des württembergischen Herzogs Karl Eugen. Besagte Charlotte von Kalb war eine geborene von Ostheim – in „Kabale und Liebe“ kommt eine „untadelige“ von Ostheim vor – und war frisch mit Heinrich von Kalb verheiratet.

Die junge Charlotte von Kalb, die eines abends in Mannheim im Theater saß und sich an der Namensnennung im Stück nicht störte, wurde eine der wichtigsten Frauen für Schillers Entwicklung. Ende Juli 1783 kam sie mit ihrem Mann erneut nach Mannheim, wo sie im September ihren Sohn Karl Friedrich zur Welt brachte. Friedrich Schiller ging als Besucher in ihrem Haus ein und aus, und als Herr von Kalb abreiste, begann, wie Schiller sagte, „eine wunderbar reiche Zeit". Schiller und Charlotte wurden Freunde, aus Freundschaft wurde Liebe.

In dem Drama „Don Carlos ist der Einfluss, den Charlotte von Kalb auf Schiller hatte, deutlich zu erkennen. Er sprach mit ihr über seine dichterischen Pläne, insbesondere den „Don Carlos“. Und ihre behutsame Kritik, welche immer Schillers Genie anerkannte, ist sicher mit dafür verantwortlich, dass Schiller mit dem „Don Carlos“ ein Qualitätssprung gelang.

Aber nicht nur die Königin Elisabeth, sondern auch die Figur der Eboli trägt vermutlich Züge der Charlotte von Kalb. Auch die Ausgangssituation des Dramas passt zu Schillers Beziehung zu seiner unerreichbaren „Jadegöttin“ Charlotte von Kalb. Don Carlos liebt Elisabeth, diese ist jedoch mit seinem Vater, dem König von Spanien, verheiratet und zur Entsagung gezwungen. Aber zu welch herrlicher Lösung führt Elisabeth die Liebe des Don Carlos, indem sie seine Liebe ganz auf seine große Lebensaufgabe umleitet. Karls Lebensaufgabe war die Schaffung einer besseren politischen Regierung, Schillers Lebensaufgabe war die Veredelung der Poesie zu dem, was wir heute noch als „Weimarer Klassik“ schätzen und lieben.


Don Carlos, 1. Akt,
5. Auftritt (Ausschnitt)
Elisabeth von Valois,
Ulla Cicconi
Don Carlos,
Lutz Schauerhammer
















Vollendet hat Schiller den „Don Carlos“ in Dresden Dort lebte er in Gesellschaft zweier junger Ehepaare und es fehlte ihm nichts, außer dass er sich zunehmend selbst nach einer Ehefrau sehnte. Und so kam es, wie es kommen musste. Im Februar 1787 verliebte sich Schiller unsterblich in die 19-jährige Henriette von Arnim, die als „wohl die schönste, damals in Dresden existierende Schönheit“ galt. Über Schiller wurde berichtet: „Schillers Augen brannten, wenn er sie sah, und man sah ihn in dieser Zeit oft in einer Begeisterung, die man vorher nicht an ihm bemerkt hatte.“

Am 28. April schrieb Henriette einen Liebesbrief an Schiller und gesteht, dass sie schon früher eine erste Liebe hatte. Das erregt Schillers Eifersucht, Henriettes vertrauensvolle Offenheit führt zum jähen Ende der Liebesbeziehung. Schiller fühlt sich betrogen. Seine Liebe will er plötzlich nur noch als Freundschaft verstanden wissen.



Schiller geriet nun in eine Schaffenskrise: Nach dem„Don Carlos“ im verging über ein Jahrzehnt, bis Schillers nächstes Drama, der „Wallenstein“, vollendet war. Nach diesem Durchbruch folgten Schillers weitere Dramen dann Schlag auf Schlag.

Dass Schiller diese Krise meisterte, ist zu einem nicht unerheblichen Teil einer Frau zu verdanken: Charlotte von Lengefeld. Der Briefwechsel zwischen ihm und Charlotte belegt die feinfühlige Annährung und die steuernde und innige Kraft seiner Lotte, die ihm 1790 das Ja-Wort gab.


Martha Schauerhammer laß die Briefe von Charlotte von Lengefeld,
Lutz Schauerhammer die von Friedrich Schiller



Die ruhige, aber selbstbewusste Lotte war für Schiller, der immer schaffen musste, der sich alles erkämpfen musste, und mit seiner angeschlagenen Gesundheit Raubbau trieb, ein Segen. Schillers ruheloser Geist „schritt immerfort über Schranken“ hinaus, „rastlos durch entlegene Sterne" jagte er seinen idealen „Traumbildern“ nach. Da war Lottes in sich selbst ruhender Charakter, der sie in ihrem „gebundenen Wesen“ umso „freier wirken“ ließ, eine unverzichtbare Ergänzung. Genau wie Schiller das in dem Gedicht „Würde der Frauen“ beschreibt, wuchsen sie gemeinsam über ihre individuellen Grenzen hinaus.

Und so ist es auch Lotte zu verdanken, wenn Schiller es wagt, in seinem Wallenstein-Drama mitten in das Chaos des Dreißigjährigen Krieges das Ideal eines reinen Liebespaares, Thekla und Max, hineinzustellen. Genau wie in „Würde der Frauen“ geschildert, verbindet er in einer Zeit, die von dem „Herrschgebiete der Männer“ bestimmt war, wo „nur der Stärke trotziges Recht“ galt, den Offizier Max mit Wallensteins Tochter Thekla, die tief in seine Seele schauen kann.

In dem Wallenstein-Drama kommt noch eine starke Frau aus der Familie Friedland vor: Wallensteins Schwester, die Gräfin Terzky. Sie ist charakterlich das genaue Gegenteil von Thekla, aber auch faszinierend. In der vorgestellte Szene zeigt sich, dass sie entschlossener ist als ihr Bruder. Sie ist es, weil sie – typisch Frau – vor allem für die Familie Friedland handelt, während Wallenstein seinen Blick – typisch Mann – vor allem auf sich selbst lenkt. Das nutzt die Gräfin, um ihn dahin zu bringen, den Vertrag mit dem Schweden Wrangel endlich abzuschließen.

Wallensteins Tod
1. Aufzug, 7. Auftritt (Ausschnitt)
Gräfin Terzky, Gabriele Liebig
Wallenstein,
Hartmut Borchers

















 
Die stärkste der starken Frauenfiguren bei Schiller ist eine junge Schäferin, „Die Jungfrau von Orleans“, die wie ein Wesen aus höheren Sphären in einer Situation wirkt, wo „im Kampf die Mutigsten verzagen“, und ihr Vaterland rettet. Sie tritt zwar in Männerkleidung auf und führt sogar das Schwert in der Hand, doch ihr Wesen ist gerade nicht das eines „Supermannes“. Es sind die typisch weiblichen Züge, die Fähigkeit zu bewahren, zu versöhnen und zu vereinen, zu sorgen und vor allem die Schutzbefohlenen mutig zu verteidigen. Genau wie sie das Lamm aus den Fängen des Tigerwolfs rettet, so verteidigt sie ihr Vaterland, weil sie ihre Mitmenschen und ihr Volk liebt.

Die Jungfrau von Orleans kämpft mutig weiter, wenn alle Männer verzagen, aber ihre entscheidende Wirkung vollbringt sie als Frau, durch die Macht des weiblichen Prinzips. Denn „die Frauen…löschen die Zwietracht, die tobend entglüht… und vereinen, was ewig sich flieht.“ Johanna ist deshalb in der Lage, die feindlichen Parteien zu vereinen

Die Jungfrau von Orleans
3. Aufzug, 4. Auftritt (Ausschnitt)
Johanna, Martha Schauerhammer
König Karl VII., Lutz Schauerhammer
Herzog von Burgund, Hartmut Borchers









Schillers Frauen haben uns gezeigt: Das angeblich „schwache Geschlecht“ ist gerade dadurch stark, dass es das Liebenswerte bewahrt, das Widersprüchliche überwindet und die Feindseligen vereint. Nicht durch Kraft, aber sehr mutig. Es erfordert nämlich nicht weniger Mut zu versuchen, überlegene Kräfte am leichten Zügel zu lenken, als sich ihnen kraftvoll entgegenzustellen und in Würde unterzugehen.

Mit der Rezitation des Gedichtes „Würde der Frauen“ schloss das Programm. Mit anhaltendem und herzlichem Beifall dankte das Publikum den Vortragenden und Friedrich Schillers Ideen.








© Lutz und Ralf Schauerhammer, Wiesbaden – Fotos Pietro Cicconi